Roswitha & Dieter 
Kunst vor Ort
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Kunst vor Ort - die Sokrates-Aktionen

Vor Ort, das war für unsere Väter unter Tage vor der Kohlewand - und für uns Kriegs-Kinder ebenso. Roswitha hockte in einem Luftschutz-Stollen, und ich, Dieter, kauerte am Boden eines Kohlenkellers und zeichnete fallende Bomben. Und wenn die Bomben fielen, zeichnete ich so heftig, dass das Papier zerriss. Danach aber erschienen mir Risse und Linien wie ein Tanz glücklicher Mücken. Ich wusste noch nichts von Kunst, aber ich fühlte, sie kann befreien - auch wenn es nur von der Angst ist.

Kunst kann keine Tatsachen ändern - aber uns selbst. Schon eine archaische Skulptur kann uns sagen: Du musst dein Leben ändern. Denn  da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. (Rilke 1908 in  Archaischer Torso Apollos)
Ähnlich dachte der deutsche Nachkriegskünstler Joseph Beuys, als er 7000 Eichen nebst archaischem Gestein in die vom Krieg verwüsteten Straßen Kassels pflanzen ließ (1982 zur Documenta7). Seitdem gibt es dort keine Stelle, die uns nicht sieht.

Beuys hatte gezeigt, dass der Künstler die Realität nicht nur betrachten, sondern auch auf sie zugehen muss. Und so erschien eines Tages im Rat des niedersächsischen Städtchens Melle ein Fremder. Er hieß Sokrates und kam aus einer frühen Demokratie, um unserer heutigen vorzuhalten, dass sie noch immer das alte politische Schattenspiel ist.

Wer schon im alten Athen die Kultur seiner geld- und geltungssüchtigen Mit-bürger kritisiert hat, kann das im heutigen Kulturbetrieb gleich fortsetzen.
So ging Sokrates 1997 auch nach Kassel, um der 10. Documenta nach Deutschlands letztem Kriege vorzuhalten, dass sie sich hinter geschlossenen Fensterläden in ein tatenloses Innenleben zurückzieht.

Denn ihre französische Kuratorin verdunkelte die Kunsthallen nicht, um uns an die Luftschutzbunker zu erinnern, sondern nur, um eine Show der neuen Bildmedien zu zelebrieren. Das Innere des Fridericianums flimmerte nur so von scheinbaren Bildern. Sokrates setzte ein reales dagegen:

Draußen im Tageslicht begoss er einen verdorrten Eichbaum. Und alle Kasseler und Kasselbesucher, die sich an Beuys erinnerten, halfen ihm dabei. Ein absurdes Bild für Hoffnung schaffen - nannte es Kassels Tageszeitung (HNA vom 14.07.97). Und eine Amsterdamer Kunst- Zeitschrift schrieb noch zwei Jahre später darüber (Vruchtbare AARDE 6/1999, De kracht van rituelen).

Der amerikanische Kurator der elften Documenta wollte "seine ganz anders" machen. Er ließ Soziologen in aller Welt über die Notwendigkeit demokratischer Mitsprache diskutieren. Sokrates begann für alle Welt zu hoffen.

In Kassel war Mitsprache der Besucher jedoch unerwünscht. Wer vor den fragwürdigen Bildern diskutierte, wurde vom "security-officer" des Hauses verwiesen.

So konnte Sokrates am Ende nur wieder trösten und die Hinausgeworfenen zu musikalischer Mitsprache einladen.
 

 


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Mitsprache 
für eine D11-Besucherin

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